2012(Mai): Aufbruch zu neuen Ufern

NOZ vom 16. Mai 2012

Aufbruch zu neuen Ufern

Osnabrücker Musikfreunde spielen Mahlers Erste

von Thomas Hitzemann

OSNABRÜCK. Manche der Zuhörer sind gekommen, um dieses Violinkonzert zu hören, das erste in g-Moll op. 26 von Max Bruch. Mit der Geigerin Myvanwy Ella Penny hat das Orchester der Osnabrücker Musikfreunde eine gute Solistin verpflichtet. Ein in stiller Verzückung singender Ton und makellose Doppelgriffe prägen ihr Spiel von Anfang an.

Ihr Ton begibt sich nie weit weg vom Orchester auf solistische Höhenflüge. Bei der Begleitung legt Dirigent Reinmar Neuner besonderen Wert auf tragfähige Geschmeidigkeit. Weich und voluminös rollen die Phrasen wie Wellen durch den Europasaal der Osnabrückhalle. Erst im dritten Satz wird der reich verzierte Geigenpart des eingängigen Themas so kraftvoll, dass sich die junge Solistin stärker absetzt und deutlich an Profil gewinnt. Mit Otto Bode haben die Musikfreunde einen Komponisten in den eigenen Reihen. Sein „Informel“ wird sehr kultiviert gespielt. Es bringt eine Menge akustischer Informationen: Cluster, irisierende Linien, komplementäre Rhythmen, stammelnde Soli und eine allmähliche Entwicklung von der Dissonanz zur Konsonanz. Es gleicht einer Palette, die von jeder Farbe einen Tupfer zeigt. Doch nicht das damit gemalte Tableau wird zum Ausstellungsstück, sondern die Palette selbst.

Bildhafte Symphonik ist erst Gustav Mahlers 1. Sinfonie in D-Dur vorbehalten. Aus dem Boden eines endlosen Orgelpunktes sprießt motivisches Leben, gespielt von kleinen Gruppen der Bläser und tiefen Streichern. Nach und nach erwacht im Crescendo das ganze Orchester. Markante Hornklänge leiten ein Tutti explosiver Lebenskraft ein. Der zweite Satz scheint sich mehr Innenräumen des Gesellschaftslebens zu zuwenden. Champagnerlaune in den einzelnen Registern, bis sich alle Instrumente im „Fin de Siècle“-Walzertakt wiegen. Der dritte Satz gibt sich rückhaltlosem Weltschmerz hin. Flexibel stellen sich Neuner und das Orchester auf immer neue Szenenwechsel ein und behalten den Überblick. Träumerische Passagen sinnen der Vergangenheit nach, dann schimmert junge Hoffnung in den Tönen. Wie das ganze Orchester schließlich zu neuen Ufern aufbricht – das muss man gehört haben! Hier erklimmen die Musikfreunde eine weitere Sprosse auf ihrer Erfolgsleiter der letzten Jahre.